Göttinger Bündnis zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus trauert um Esther Bejarano
In tiefer Anteilnahme nimmt das Göttinger Bündnis „27. Januar – Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ Abschied von Esther Bejarano (geb. Loewy). Sie verstarb am 10. Juli 2021 in ihrer Wahlheimat Hamburg und hinterlässt eine nicht zu schließende Lücke. Esther Bejarano hat als Überlebende der Konzentrations- bzw. Vernichtungslager Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau, als mutige, unerschütterliche Zeitzeugin der Shoah und als Antifaschistin auch das Göttinger Gedenkbündnis immer wieder besucht. Sie war Stimme im VVN-BdA und Gesicht und Verstand des internationalen Auschwitzkomitees.
„Mit Esther Bejaranos Tod haben wir eine Vorkämpferin, ein Vorbild und einen nahen Menschen verloren. Unser Wirken als Bündnis ist geprägt von ihrer Überzeugung, die Verbrechen des Nationalsozialismus und seine Kontinuitäten nie zu vergessen. Esther Bejaranos lebenslanger antifaschistischer Kampf hat unzählige Menschen erreicht und wird dem Land fehlen“, so Agnieszka Zimowska, Regionsgeschäftsführerin des DGB Südniedersachsen-Harz, stellvertretend für das Bündnis. Mit ihrem Willen, auf Generationen jüngerer erinnerungspolitisch Aktiver, auf Schüler_innen und Jugendverbände zuzugehen und mit ihnen gemeinsam über ihre Erfahrungen der Verfolgung und des Hasses zu sprechen, hat Esther Bejarano ihren eigenen, vielzitierten, Ausspruch mit Leben gefüllt und zu einer besseren, kritischeren Gesellschaft beigetragen: „Ich sage immer: Ihr seid nicht schuld an dieser schrecklichen Zeit, aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über die Geschichte wissen wollt.“
Esther Bejarano überlebte das Menschheitsverbrechen der Shoah unter anderem als Angehörige des Mädchenorchesters von Auschwitz. Sie meldete sich als Akkordeonspielerin, ohne dieses Instrument je vorher gespielt zu haben. Später gelang ihr die Flucht von einem der sog. nationalsozialistischen Todesmärsche. Beides, die Musik und ihr Mut, blieben ihr stets Schlüssel und Zugang zu Herzen und Geist der Menschen. Bejarano ging nach dem Nationalsozialismus nach Israel, studierte Gesang und arbeitete u. a. als Musiklehrerin. Mit ihren Kindern Joram und Edna formte sie später die Musikgruppe „Coincidence“ und spielten über viele Jahre Lieder des Widerstandes. Gemeinsam mit Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino von der deutsch-türkisch-italienischen Hip-Hop-Band „Microphone Mafia“ hat die Musikerin Esther Bejarano mit über 900 Auftritten in fast fünfzehn Jahren Brücken zwischen Generationen, Genres und Antifaschist_innen geschlagen und ihre politische Überzeugung vermittelt, auch in Göttingen.
Esther Bejarano nannte ihr gesellschaftliches und politisches Wirken, das sie nach der Rückkehr nach Deutschland begonnen hatte, „meine späte Rache an den Nazis“. In den Tagen nach ihrem Tod tauchte in Berlin ein antifaschistisches Wandbild auf: „Esther, wir machen weiter. Versprochen! Aber ohne Dich wird es schwerer.“ „Zeugnis abzulegen und ihre antifaschistische Überzeugung weiterzugeben, ist Esther Bejaranos bleibendes Vermächtnis. Dem sind auch wir verpflichtet. Ihre Klugheit, ihre Kraft und ihren Mut werden wir vermissen aber niemals vergessen.“, so Zimowska.
Diese Veranstaltungsreihe ist dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet. Sie dürfen nicht vergessen werden.
In den Konzentrationslagern bündelte sich die nationalsozialistische Politik der Verfolgung, Entrechtung, Entwürdigung und systematischen Ermordung von Millionen Menschen. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Dieser Tag wurde zum Symbol für eine wachsame Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen. Seit dem Jahr 1996 ist der 27. Januar in Deutschland offizieller „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“.
Gedenken braucht mehr als einen isolierten, staatlichen Gedenktag. Darum betten wir mit unserer Veranstaltungsreihe den Tag der Befreiung von Auschwitz in seinen historisch-politischen Zusammenhang ein. Die Eckdaten 9. November (Pogromnacht 1938) und 30. Januar (Ernennung Hitlers zum Kanzler 1933) sollen an Schuld und Verantwortung der Deutschen erinnern.
Gedenken braucht einen Standpunkt. Wir müssen feststellen, dass bei der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus heute vor allem wieder die deutschen Opfer etwa von Bombenkrieg oder Vertreibungen in den Vordergrund gerückt werden. Wir, die VeranstalterInnen dieser Reihe, treten solcher und anderer Relativierung entgegen. Wir möchten Zeichen setzen: Gegen Gleichgültigkeit und Vergessen. Gegen die Verharmlosung deutscher Schuld und Verantwortung. Gegen das Fortbestehen rechter Ideologie und rechtsextremer Aktivitäten in Alltag und Gesellschaft.
Erinnerung braucht Wissen. In dieser Reihe wird in öffentlichen Veranstaltungen der Opfer gedacht und durch Vorträge, Lesungen, Begegnungen mit ZeitzeugInnen, Diskussionsrunden, Theater- und Filmvorführungen, Konzerte, historische Stadtrundgänge und Führungen in KZ-Gedenkstätten eine kritische Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus geführt.
Die Reihe wird organisiert von einem Bündnis, zu dem sich verschiedenste gesellschaftliche Initiativen und Einrichtungen zusammengeschlossen haben.
Nähere Informationen erhalten Sie auch beim DGB Südniedersachsen/Harz unter der Nummer 0551 / 44097.